Wozu begeistert der christliche Glaube noch, wozu ist Kirche noch gut?

Er ist Deutschlands bekanntester Kapuzinermönch und in der katholischen Kirche ein Schwergewicht: Bruder Paulus Terwitte. Wir fragten den Priester an der Liebfrauenkirche in Frankfurt, Streetworker und häufigen Gast in Fernsehsendungen: Wozu begeistert der christliche Glaube noch, wozu ist Kirche noch gut?

Das Interesse an Kirchen sinkt. Sind Sie sehr enttäuscht?
Die Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften binden so vielen Menschen wie keine andere Gruppierung der deutschen Gesellschaft in der Idee des Evangeliums. Bei über 45 Millionen Kirchenmitgliedern sind 200 000 Austritte im Jahr schmerzlich, aber letztlich so viel wie zwei Austritte in einem Verein mit 450 Mitgliedern. Den Kirchen geht es wie den anderen Institutionen der Gesellschaft bis hin zu den Sportvereinen im Dorf und der Freiwilligen Feuerwehr, ja bis hin zu Ehe und Familie: Die Menschen sind für das langfristige Engagement nicht mehr zu haben. Das hat vielfältige Gründe. Einer davon ist die Überforderung mit der Vielfalt der Möglichkeiten und Meinungen, die einem die eigene Entscheidung madig zu machen scheinen. Treue und Glaube zu leben, einer Überzeugung zu folgen. Das scheint aus der Mode zu kommen.

Wozu brauchen wir die Kirche noch?
Schauen Sie sich die Dörfer und Städte an: Die Kirchen als Gebäude ragen heraus, wo sie nicht überwuchert werden von Hochhauskomplexen und Bankentürmen. Die Gebäude sind Freiräume, wo nichts verkauft wird, sondern wo gedankt, getrauert und sich die Treue geschworen wird. Die Kirche bewahrt in wenn auch zu oft schmutzigen Gewändern – da ist immer neu Reinigung nötig! – die Seele für das Miteinander der Gesellschaft. Dieses beruht auf Opferbereitschaft und Nächstenliebe, auf unberechneten Einsatz füreinander und für jeden Menschen, wie es Gott in Jesus hat begreiflich werden lassen. Hier in Frankfurt in unserer Liebfrauenkirche sind in jedem Gottesdienst Menschen aus mehr als zwanzig Nationen. Sie feiern, dass der Gott der Schöpfung in Jesus Christus eine Kirche geschenkt hat, die Grenzen überschreitet und ein Licht ist für alle, die immer noch nicht verstanden haben, dass es von Gott nur eine Menschheitsfamilie gibt.

Die Kirche begleitet Menschen von der Geburt bis zum Tod. Aber der Eindruck verstärkt sich, dass viele sie nur noch als Serviceagentur, Vermittlerin eines Brauchtums sehen? Wohin geht die Reise?
Klar ist auf jeden Fall: Not lehrt nicht beten. Wer sich nicht eingeübt hat durch Gottesdienstmitfeier und Gebet ohne Zeiten der Not oder großer Freude, der wird in Hochzeiten des Lebens auch nicht den Tiefgang einschalten können. Das ist aber nicht unbedingt ein Schaden. Die Kirchen werden lernen, dass sie bei Riten sensibler sein müssen und offener gegenüber Gestaltungswünschen. Gleichzeitig ist es aber auch notwendig, sich nicht bis zur Unkenntlichkeit zu verbiegen. Für mich ist es schon spannend, mit Eltern zu sprechen, die aus der Kirche aufgetreten sind, aber die Taufe ihres Kindes erbitten. Oder um die Feier der Bestattung gebeten zu werden für einen Verstorbenen, der durch den Kirchenaustritt ein Zeichen gesetzt hat, mit dem die Angehörigen sich aber nicht abfinden wollen. Ich wünsche der Kirche und den Gläubigen vor Ort, die oft strenger Kirche sind als die offizielle Kirche, mehr katholische Weite, also eine Weite, die im Heiligen Geist die Kraftquelle hat für Geduld und Charme.

Muss sich zum Beispiel die Katholische Kirche von einigen veralteten Sichtweisen trennen?
Ich gehöre ja zu einem Weltorden, der mir eine wirklich weite Sicht der Dinge gibt. Bei 140 Millionen verfolgten Christen weltweit stelle ich mir die Frage, ob sie wegen veralteter Sichtweisen verfolgt werden. Die Antwort lautet: Ja. Solche veralteten Sichtweisen sind: Geld kann man nicht essen. Reichtum hat den Armen zu dienen. Der Mensch ist nicht Gott. Das kann selbst in Deutschland nicht jeder mehr ungestraft sagen in einer Gesellschaft, die den Menschen und seine Gefühle zum Maß aller Dinge macht, damit er sich wie Gott fühlend, noch mehr konsumiert. Hier ist die Kirche mit ihrer alten Sichtweise, dass Geben seliger denn Nehmen ist, und eingeschränkte Menschen, ungeborene Menschen und noch nicht verstorbene Menschen auch ein Lebensrecht haben und ein Recht auf unser Mitgefühl, so nötig wie trocken Brot.

Von Theologen ist immer wieder zu hören: „Durch ihre Verkündigung und durch die Zuwendung zu Menschen in Not wird die Kirche der Gesellschaft auch in Zukunft gut tun.“ Wird damit der kirchliche Weg in die Zukunft gut beschrieben?
Das kommt ganz darauf an, was gemeint ist. Ich glaube, dass wir zunächst als Kirche wieder die Stille entdecken müssen. Geöffnete Kirchen in Dorf und Stadt, Christen, die sich zum stillen Gebet treffen, ohne Gottesdienst, absichtslos Gott liebend und offen für jedweden Nächsten. Das ist die Verkündigung, die am besten wirkt. Kirche braucht keine Mitglieder, sondern Mitbrennende. In Arabien, Indien und China wird die Kirche ganz anders erlebt und boomt deswegen auch. Aus dem stillen Gebet kann ein überzeugender Gottesdienst des Dankes werden, an dem auch unbedarfte Zeitgenossen gern mal teilnehmen, was ich hier in Frankfurt oft erlebe. Aus einem Gotteslob wird Menschenliebe und dann auch Nothilfe; das ist die christliche Logik, die wie ein Felsen die Jahrhunderte überleben wird, bis Jesus als Herr der Welt wieder kommt.

Peter Schulte-Holtey, Offenbach Post, 27.07.2019

 

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