Passion und Advent
- 10. Dezember 2020
Wach auf, Herr! Warum schläfst du? Wach auf und verstoße uns nicht für immer! (Psalm 44,24)
Wer so schreit, sehnt sich nach einem Entgegenkommen Gottes. Selten hat ein Interview von mir soviel Widerstand ausgelöst. „Altbacken“, „angstauslösend“ und „rückständig“, vor allem aber: Gott sei doch Liebe! Ihn anzuschreien oder gar ihn zu bedrohen – das sei nun wirklich unmöglich. Ergebenheit sei nötig, Demut.
Ich erwidere: Mir ist Gott natürlich auch ein liebender Vater, und welches Kind hat nicht schon mit dem großen Vertrauen, wie Kinder es haben, gesagt: Wenn du, Papa, mir eine Geschichte vorliest, oder mir nicht mehr böse bist … dann mache ich dies oder das.
Beten, bitten, schreien: So hat Jesus seine Liebe zum Menschen und zum Vater gelebt.
Ich verstehe das Entsetzen über das Interview. Manche, die es lesen, verstehen: Ich wollte einen Angstmachenden Gott des Mittelalters beschwören. Ganz das Gegenteil ist aber der Fall: Was mich ängstigt, die Krankheit, die Armut, der Hunger in der Welt, der Tod … dies alles lässt mich erschaudern, immer neu. Als Notfallseelsorger bin ich oft nah dran … ganz abgesehen vom Leid der Tiere und der Schöpfung, das Corona-Leid, das die Alten hinsiechen lässt allein und ohne Beistand … mein Gott, was für eine Last …. das will ich ihm sagen dürfen, und es soll ihn anschreien dürfen, wer vor dem Tor der Klinik zusammenbricht, weil er nicht vorgelassen wird zu dem Menschen, den er liebt und der da ohne ihn sterben muss … Solche Erfahrungen sind eine Beziehungsstörung zu Gott.
Da Gott in unser Schreien eintauchte an Weihnachten, (Aus tiefer Not schrei ich zu dir, so singt ein Lied zur Passionszeit), in die Nacht der Verlassenheit an Weihnachten und am Kreuz DA war und DA ist, deswegen kann ich glauben mit all meinen Gefühlen: Lasst uns also unerschütterlich an unserem Bekenntnis zu Jesus Christus festhalten, denn in ihm haben wir einen großen Hohenpriester, der vor Gott für uns eintritt. Er, der Sohn Gottes, ist durch den Himmel bis zu Gottes Thron gegangen. Doch er gehört nicht zu denen, die unsere Schwächen nicht verstehen und zu keinem Mitleiden fähig sind. Jesus Christus musste mit denselben Versuchungen kämpfen wie wir, doch im Gegensatz zu uns hat er nie gesündigt. Er tritt für uns ein, daher dürfen wir voller Zuversicht und ohne Angst vor Gottes Thron kommen. Gott wird uns seine Barmherzigkeit und Gnade zuwenden, wenn wir seine Hilfe brauchen. (Heb 4,14-16)
Für eine Gottesbeziehung mit ganzem Herzen und ganzer Seele und mit all meinen Kräften .. und diesen Gott adventlich erwarten, damit er alle Nacht weiht … und Weihnachten wird für immer: Das schreie ich raus, wenn ich rufe: Komm, Herr Jesus! O komm, o komm, Emmanuel (Kirchenlied) – das kann ich nicht leise und brav beten.
Aus dieser lebendigen Weise zu Glauben wächst Mitgefühl und Offenheit für die Leidenden, wie wir sie etwa im Franziskustreff leben – leben für jene, die, gebeutelt vom Leben, nicht mal mehr Kraft zum Schreien haben.
Wenn Corona von uns genommen ist: Wird es Dankgottesdienste geben, und Wegkreuze zu diesem Anlass? Oder wird es eher gar keinen Dank mehr geben, weil es auch kein flehendes Bitten gab?
Ich wünsche Ihnen einen passionierten Advent!
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