Mitgenommen

Ich gebe es unumwunden zu: Mein Grundgefühl ist Mitgenommenheit. Die Bedrohung durch den Virus, das Lavieren der Politik, die Ohnmacht gegenüber einem faschistisch gewandelten Staatspräsidenten von Russland, die Orgien der Gewalt, und, geben wir es zu, viele Konfliktherde, von denen jetzt in den Medien gar nicht mehr gesprochen wird.

Auch dadurch bin ich in dieses Gefühl der Mitgenommenheit gestürzt: Was wird berichtet? Was wird in den Redaktionen ausgewählt? Das, was andere auch auswählen und wovon man meint, dies sei das wichtigste? Und generiert Klickzahlen? Oder gibt es noch einen Journalismus, der sich traut, das, was wirklich wichtig ist, auf die Agenda des Berichtens zu setzen?

Und noch etwas: Wovon darf berichtet werden? Ich frage mich: Wer gibt den ausgebeuteten Arbeiterinnen und Arbeitern in Katar Platz in den Schlagzeilen? Oder haben die Medien Angst, als Spielverderberinnen und Spielverderber betrachtet zu werden? Wird die Stimmung wieder ein wichtiges Kriterium, worüber man reden darf? „Es ist besser, wenn ein Mensch stirbt für das Volk, als dass das ganze Volk zugrunde geht“ heißt es in der Passionsgeschichte. Und: Pilatus hatte Angst vor der Menge, die schreit: Kreuzige ihn.

„Sie sehen so mitgenommen aus“ Manchmal sagt mir das jemand. Nicht immer fühle ich mich dann so, aber ich bin aufmerksam auf dieses Wort.

Wie fühlen Sie sich im Moment?

Ja, das Leid der Welt nimmt mich mit. Ich kann mich ihm nicht verwehren. Aber darüber klage ich nicht. Es ist eine christliche Grundhaltung, sich mitnehmen zu lassen. Compassion ist das englische Wort dafür. Zu deutsch: Mitgefühl. Aber Compassion ist mehr. Mitleiden. Und das ist mehr als Mitleid.

Zum Start in die Heilige Woche und in die Feier von Ostern ist mein Gebet: Du hast dich mitnehmen lassen Herr, ein Mitgenommener in alle Passionen dieser Welt. Mach mich zu einem, der mitgenommen ist, aber bis hin in deine Auferstehung. Der heute mit dir in Freude aufsteht. Mit einer Hoffnung, die du selber stiftest.

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